
DOSSIER:
Serge Spitzer: Untitled
(ESSEN)
Chronologie
Im Jahre 1996 wird am Essener
Kennedyplatz ein Kunstwerk von Serge Spitzer aufgestellt. Einen
richtigen Namen hat die Plastik eigentlich nicht. Serge Spitzer
behauptet später, sie habe von Anfang an "Untitled (ESSEN)"
geheißen (->SPITZER
TITEL).
Wie auch immer: Jahrelang gammelt das Werk vor sich
hin. In einer örtlichen Lokalzeitung wird die Behauptung
aufgestellt, die Plastik sei die unbeliebteste der Stadt. Aha. Eine
Plastik, die niemand mag, die
kaum einer versteht, die keiner pflegt, für
die sich niemand einsetzt, die keiner vermittelt, die
irgendwie nur stört und die am besten gleich fortgeschafft
werden
soll - soetwas rührt doch den Beschützerinstinkt.
Im April 2010 gibt es wieder
einen Vorstoß, die umstrittene Plastik vom Kennedyplatz zu
holen. Die Stadtspitze will einen anderen Standort,
favorisiert wird der Berliner Platz (->AUF SPANNUNG GEDREHT).
Serge Spitzer wehrt sich und droht mit juristischen Schritten
(->"EIN PERFEKTER ORT - DIESE
SICHTACHSEN!"). Danach ist die
Verlagerung (erstmal) vom Tisch. Bleibt nur noch, wie vom
Kulturausschuss angeregt, den Versuch zu wagen, Verständnis
für die Plastik zu wecken (->AUFRICHTIG UND
RESPEKTVOLL).

Die
Platzierung seines Werkes hat Serge Spitzer mit
Bedacht gewählt. Foto: Katalog
"Essen - Food for thoughts".
Spitzer
Titel
Manche Kunstwerke haben einen
Titel, manche haben keinen –
und manchen verpasst der Volksmund einfach einen Namen. Das Kunstwerk
etwa, das Serge Spitzer für den Rand des Kennedyplatzes
geschaffen hat, wird gern „Spitzer-Spirale“
genannt, obwohl es im Grunde genommen gar keine Spirale ist, sondern
aus
übereinander geschichteten Doppel-T-Trägern besteht.
Aber „Spitzer-Stapel“ hat noch keiner vom Stapel
gelassen.
Ein wenig despektierlicher spricht man über die
„Tonne“, wobei da gern gleich auch die
„Mülltonne“ gefüllt wird, was
aber den derzeitigen Zustand der Plastik gut beschreibt. Dann gibt es
noch Namen, die mit Kalkül gewählt werden. Mit der
Bezeichnung „Elefantenklo“ hat sich etwa der Verein
„Bürgerschaft Essen-Mitte“ einen Namen zu
machen versucht.
Aber wie heißt das Werk wirklich? Serge
Spitzer hat jetzt
klargestellt, dass die ortsbezogene Plastik seit ihrem ersten Tag einen
Namen habe, und zwar einen, der „exakt die Situation am Rande
des Kennedyplatzes widerspiegelt“. Sie heißt:
Untitled (ESSEN). (NRZ / Tankred Stachelhaus 27. April 2010)
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Auf
Spannung gedreht
Nur aus alter Freundschaft nicht
geklagt
Beschmiert mit Graffiti, im
Inneren
vermüllt und voller
Unkraut, beschädigt durch unsachgemäße
Reinigung: Der Zustand der Spitzer-Plastik spiegelt ihre
Wertschätzung wider. Seit der Aufstellung am Rande des
Kennedyplatzes hinter dem Europahaus im Jahre 1996 hatte das Kunstwerk
kaum eine Chance, seine Wirkung zu entfalten. Auf der gestrigen Sitzung
der Kulturstiftung Essen stand das Thema „Spirale“
auf der Tagesordnung. In Anwesenheit von Oberbürgermeister
Reinhard Paß soll Folkwang-Kurator Mario-Andreas von
Lüttichau beauftragt worden sein, in Abstimmung mit dem
Künstler Serge Spitzer einen alternativen Standort zu
suchen.
Favorisiert wird die große Verkehrsinsel am
Berliner Platz.
Diesen Standort schlägt auch die FDP-Fraktion vor, die das
Thema auf der nächsten Sitzung des Kulturausschusses behandelt
wissen will. Doch der rumänischstämmige
US-Künstler
stellt in einem Schriftwechsel mit der NRZ klar: „Das
Stück sollte nicht isoliert auf einer Verkehrsinsel
stehen!“ (siehe Auszug der Stellungnahme im untenstehenden
Kasten). Serge Spitzer hat sich nach eigenen Angaben bewusst
für den Rand des Kennedyplatzes entschieden, um einen
„dekorativen Charakter“ zu verhindern. Ihm geht es
um Sichtachsen und eine Neuorientierung der „komplizierten
Umgebung“. Die 20 Tonnen Stahl scheinen wie auf Spannung
gedreht: Bereit, jederzeit die Umgebung zu zerschlagen. Auf einer
offenen Fläche würde diese Wirkung wohl verpuffen und
sich das umstrittene Kunstwerk in ein gefälliges Denkmal
für die Montanindustrie verwandeln.
Die Diskussion um den Standort der 500.000 Mark teuren
und vom
„Förderverein der Stadt Essen e.V.“, der
jetzigen Kulturstiftung Essen, bezahlten Plastik gärt seit
ihrer Aufstellung. Seltener wurde über die Pflege gesprochen.
Dabei hatte sich die Stadt in dem Schenkungsvertrag dazu verpflichtet,
sich um die aufgeschichteten Doppel-T-Träger zu
kümmern. Der Vertrag berechtigt laut Stiftungsvorsitzenden
Henner Puppel die Stadt, im Einvernehmen mit dem Künstler
„aus übergeordneten Gesichtspunkten“ die
Plastik zu versetzen. Puppel betont aber: Sollte sich kein alternativer
Standort finden lassen, der Spitzers Einverständnis findet,
bleibt sie, wo sie ist. Die Kulturstiftung werde dann dafür
eintreten, die Plastik am Kennedyplatz in Schuss zu bringen. In beiden
Fällen stellt er eine Kostenbeteiligung mit Stiftungsgeldern
in Aussicht. (NRZ / Tankred Stachelhaus 22. April 2010)
Serge Spitzer zur NRZ:
„...Auf
jeden Fall wurde die Plastik für den
jetzigen Standort gemacht, gerade, um dort einen direkten Kontakt mit
den Menschen von Essen zu haben. Deren Leben war der Stahl, er stand
für Generationen im Mittelpunkt ihrer Existenz. Das
Stück sollte nicht isoliert auf einer Verkehrsinsel stehen!
Ich habe eine lange Zeit versucht, freundlich zu erklären, was
die vernachlässigte Reinigung und Pflege der Arbeit offenbart.
Es spricht für sich, wenn in der Kulturhauptstadt Europas, das
Werk seit 1996 nicht gesäubert wurde! Ich betrachte mich als
Freund von Essen, deshalb widerstrebte es mir, rechtliche Schritte
gegen die gleichen Leute einzuleiten, die mir geholfen haben, das
Projekt zu verwirklichen.“
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"Ein
perfekter Ort! Diese Sichtachsen!"
FDP hält an der Verlagerung der
Spitzer-Plastik
fest.
Künstler droht mit juristischen Schritten
Hans-Peter
Schöneweiß ist von Beruf
Polizist, ein
Politiker aus Passion – und Kunst ehrlich gesagt nicht
unbedingt so sein Ding. Wenn aber die Rede auf Serge Spitzers
Stahlplastik am Kennedyplatz kommt, erlaubt sich der Chef der
fünfköpfigen FDP-Ratsfraktion eine dezidierte
Meinung: Zum „unsäglichen Schandfleck“ sei
das Corpus delicti am nämlichen Platz über der
Einfahrt der dortigen Tiefgarage verkommen.
Das habe vielleicht auch was mit der
Örtlichkeit zu tun,
weshalb die Liberalen heute im städtischen Kulturausschuss
vorschlagen, nach nunmehr 14 Jahren eine Verlagerung des Kunstwerks auf
die Insel des künftigen Kreisverkehrs am Berliner Platz zu
prüfen. Eine Idee, die offenbar auch der Stadt nicht ungelegen
kommt.
Einem aber geht dieser ins Auge gefasste Zwangsumzug
schon jetzt
ziemlich gegen den Strich: dem Künstler selbst.
Gegenüber der NRZ machte Serge Spitzer jetzt erneut deutlich,
dass er „nicht daran interessiert“ sei, das Werk
irgendwo hin zu verlagern, weil es für genau diesen Ort
gemacht worden sei. Im Übrigens sei ein Umzug technisch und
wirtschaftlich kaum durchführbar: Die Plastik müsste
mit einem sehr hohen Kostenaufwand auseinandergeschnitten und damit
letztlich „wahrscheinlich zerstört
werden“, um sie an einem anderen Ort aufzubauen. Im Gegensatz
dazu, so Spitzer, würde nur ein Bruchteil dieser
Kosten anfallen, wenn man das acht Meter hohe Werk an Ort und Stelle
nacharbeitet und säubert.
Noch sei im Rahmen der aktuellen Diskussion von
städtischer
Seite niemand an ihn herangetreten, betont der Künstler, aber
dass er eine Verlagerung nicht unwidersprochen hinnehmen werde, sei
ausgemachte Sache: „Sobald irgendwelche physischen Versuche
für einen Ortswechsel unternommen werden, würde ich
juristische Schritte für notwendig erachten.“
Das aber ist es wohl, was keiner will: Dass Essen als
Bannerträger der Kulturhauptstadt Europas Schlagzeilen dadurch
macht, dass es eine zwei Tonnen schwere Stahlskulptur gegen den Willen
des Künstlers von A nach B schaffen will und sich damit einen
Rechtsstreit einhandelt.
Kulturdezernent Andreas Bomheuer jedenfalls mag nicht
ausschließen, dass das Urheberrecht des Künstlers
schon dadurch berührt wäre, dass man sein Werk in
einem anderen Umfeld präsentiert, und auch FDP-Mann Hans-Peter
Schöneweiß kann sich in den Künstler
zumindest so weit hineinversetzen, dass er sagt: „Der Umzug
muss ja nicht gegen den Willen Spitzers erfolgen.“ Ohnehin
ist noch nicht ganz klar, ob nicht schon statische Grüne
dagegen sprechen, das zwei Tonnen schwere Oeuvre im Zentrum des
Kreisverkehrs zwischen Colosseum und Einkaufszentrum zu platzieren.
Noch setzt Freidemokrat Schöneweiß
darauf, dass
Spitzer sich bei einem Ortstermin breitschlagen lässt
– und übt sich schon mal in
Überzeugungsarbeit: Mitten auf dem Berliner Platz, das sei
doch „keine Insellösung“. Sondern?
„Der perfekte Ort! Diese Sichtachsen!“
Ob Spitzer kommt? Ob er sich, wenn er kommt,
beeindrucken
lässt? Er hat schon viele Kunstwerke in vielen
Städten platziert, sagt er, aber das in Essen ist
„das dreckigste und am meisten
vernachlässigte“. Und bei seinem letzten Besuch
hätten sie ihm nicht mal die Reisekosten erstattet. (NRZ /
Tankred Stachelhaus / Wolfgang Kintscher 5. Mai 2010)
[Nach
oben]
Aufrichtig
und respektvoll
Verlagerung ist vorerst vom Tisch. Versuch einer
Annäherung an "Untitled (ESSEN)"
Ein
Bild aus besseren Tagen, 1996,
nicht unumstritten zwar, aber noch unbeschmiert. Foto: Katalog
"Essen - Food for thoughts")
Nun
bleibt sie also doch, wo sie
seit mittlerweile 14 Jahren steht: Serge Spitzers Stahlplastik
„Untitled (ESSEN)“ zu versetzen, dieser Plan ist
(vorerst) vom Tisch. Ob der Künstler und sein Werk einiges an
Sympathien gewinnen, wenn man mehr darüber weiß, wie
der Kulturausschuss am Mittwoch mutmaßte? Versuchen wir es
doch mal:
Wer
ist Serge Spitzer?
Der
1951 in Bukarest geborene Künstler
zählt zu den weltweit bedeutendsten zeitgenössischen
Bildhauern. Er wurde eingeladen zu den wichtigsten Ausstellungen wie
documenta und Biennale Venedig, seine Werke stehen in Institutionen wie
dem New Yorker Museum of Modern Art (MoMA), der Berliner
Nationalgalerie oder dem Staatlichen Museum für Kunst in
Kopenhagen. Seit Anfang der 1980er-Jahre lebt Spitzer in New York.
Was
verbindet Spitzer mit Essen?
1979
zeigte das Museum Folkwang eine seiner ersten
Ausstellungen im Westen. Er war zudem Gast im Werdener
Gästehaus. Ausgangspunkt seiner Werke im öffentlichen
Raum ist eine lange, intensive Beschäftigung mit dem Ort und
seiner Geschichte.
Wer
hat „Untitled
(ESSEN)“ bezahlt?
500.000
D-Mark blätterte die
„Fördervereinigung der Stadt Essen“, die
heutige „Kulturstiftung Essen“ einst für
das Kunstwerk in. Der Löwenanteil dürften Material-
und Entwicklungskosten gewesen sein, die in der Region verblieben.
Immerhin wurden hier 125 Meter Doppel-T-Träger aus Stahl
gebogen. Aufwändig hergestellt ist auch die
Oberfläche, die die Ingenieure lange beschäftigt hat.
Die Aufgabe war: Einerseits musste der Rostschutz
gewährleistet sein, andererseits sollte der Stahl
möglichst nicht hübsch, sondern nach Arbeit aussehen
– wie gerade produziert. Die Plastik steht damit sowohl
für den Erfinderstolz, so etwas überhaupt fabrizieren
zu können als auch für die harte Arbeit, die das
umgesetzt hat: Es sollte kein glänzendes, dekoratives Werk
werden, sondern ebenso aufrichtig wie respektvoll auf die Geschichte
der Stahlindustrie verweisen.
Warum
steht das Werk ausgerechnet am
Rande des Kennedyplatzes?
Eigentlich
sollte Spitzer für die Mitte (!) des
Kennedyplatzes ein Werk entwickeln. Er entschied sich jedoch bewusst
nicht für eine dekorative Sockelposition, sondern für
diesen merkwürdigen, engen Standort über der Einfahrt
zur Tiefgarage, wo das Werk die Fußgänger zum
Drumherumlaufen zwingt. Damit setzt er einen Akzent auf einen Ort, der
sonst kaum eine anderen Sinn hat, als ihn schnell zu verlassen.
Warum
ist der Ort sinnvoll?
Der
Titel „Untitled (ESSEN) ist Programm. Es
geht um einen Moment des Innehaltens: In der Geschichte der Essener
Stahlindustrie, dessen High-Tech-Zeugnis die Plastik darstellt und
dessen Material eng mit dem Auf und Ab der Stadt verbunden ist. Nach
Westen hin fällt der Blick zu den einstigen Kruppwerken, nach
Osten zum Münster, der Wiege Essens. Dabei erlaubt die Plastik
mit den Stahl-„Kissen“ zwischen den
Doppel-T-Trägern Durchblicke. Zeigen und verbergen, erinnern
und verdrängen, sind hier die Stichpunkte. Der umgebende Raum
gehört somit zum Kunstwerk – wie bei nahezu jeder
Skulptur und Plastik im öffentlichen Raum von Rang, das nicht
die Stadt aufhübschen oder möblieren muss, sondern
sich mit dem Ort beschäftigt und eingreift. Das Stahlobjekt an
einen anderen Ort, wäre nur ein Rahmen ohne Bild.
Wenn
Serge Spitzer einer Verlagerung
zustimmte, warum wäre das so teuer?
Allein
das neue Fundament würde 65.000 Euro
verschlingen, das Stahlkonstrukt müsste – um keine
Zerstörung zu riskieren – aufwändig
getrennt und transportiert werden, Architekten, Statiker wären
einzubinden, der alte wie der neue Platz müssten hergerichtet
werden. Alles in allem lägen die Kosten laut Mario-Andreas von
Lüttichau vom Museum Folkwang bei etwa 250.000 Euro.
Und
eine Reinigung vor Ort?
Wird
auch nicht billig: 23.000 Euro sind zu
veranschlagen. Nach den
ersten Graffiti gab es eine unsachgemäße
Säuberung, die
die aufgetragene Schicht zerstörte. Zur
Reinigung hat sich die Stadt übrigens auch verpflichtet und
dies – wenn überhaupt – nur sehr
unzulänglich erledigt. Noch Ende Februar habe er
Silvesterböller im Inneren gefunden, klagte von
Lüttichau im Kultur-Ausschuss. Das sagt wohl alles. Einmal
gesäubert, würden künftige
Reinigungsaktionen einen Bruchteil kosten – wenn man denn
schnell genug reagiert, also binnen 36 Stunden nach einer Spray-Aktion.
Warum
muss die Stadt den
Künstler
überhaupt um Zustimmung bitten?
Weil
der von der Politik in nichtöffentlicher
Sitzung abgesegnete Schenkungsvertrag von 1994 dies so
vorsieht. Als
Kunstwerk im öffentlichen Raum hat Spitzer die Plastik exakt
für diesen Ort gemacht und sich ein Mitspracherecht
einräumen lassen.
Gibt’s
keinen Weg, das
Kunstwerk loszuwerden?
Da
zitieren wir mal Serge Spitzer: „Vor Ort
verbuddeln, das würde zum Konzept passen.“ (NRZ /
Tankred Stachelhaus / Wolfgang Kintscher 7. Mai 2010)
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